Donnerstag, 24. September 2020

Ein Land hat es verbockt

 

Wir machen zu viele Tests, wir machen zu wenige, es dauert zu lange, man muss sich mehr Sorgen machen, man sollte gelassener sein. Und jetzt heißt es auf einmal, wir haben etwas verschlafen und die nächste Station heiße möglicherweise gar wieder Lockdown. Die Verwirrung jedenfalls nimmt stündlich zu -wie die Covid-Zahlen auch. Und sie wird, drängt sich für den Beobachter auf, der Orientierung sucht, von allen Seiten angeheizt. Inzwischen scheint jedermann der Ehrgeiz gepackt zu haben, Meinung und Einschätzung der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen, wenn ein Mikrofon auch nur in die Nähe kommt. Politiker sowieso, Ärzte und Ärztevertreter, Epidemiologen und Virologen, Infektiologen und Gesundheitswissenschaftler und all die vielen anderen auch, die qua Ausbildung irgendeine Nähe zum Thema zu haben glauben. Ohne das irgendetwas besser wird.


Freilich muss auch im Angesicht einer Pandemie diskutiert werden dürfen, was notwendig und sinnvoll ist und was nicht. Und freilich muss man sich Sorgen machen dürfen über die Eingriffe in selbst ureigenste Persönlichkeitsrechte, die man als Politiker am liebsten ausgehebelt sehen würde. Aber muss das alles gleich in ein derartiges Chaos und Tohuwabohu kippen, wie es nun entstanden ist, und aus dem es kaum ein Entrinnen zu geben scheint?

Es gibt viele Gründe dafür, dass es so gekommen ist, wie es jetzt ist. Einer der wichtigsten Gründe ist dabei wohl bei der Politik, respektive den Politikern, zu suchen. Denn die Politik beschränkt sich längst nicht mehr auf ihre ureigenste Aufgabe, die da lautet, alles dafür zu tun, um die Pandemie im Zaum zu halten. Das hat anfangs vielleicht, damals im März und im April ein paar Wochen lang, noch einigermaßen funktioniert. Als man geschockt war davon, dass das Virus, das man bis dahin nur von den dramatischen Bildern aus China und Italien kannte, auch bei uns ist. Damals hielt man zusammen, da stand die Sache im Mittelpunkt, da versuchte ein jeder sein Bestes beizutragen, man hielt sich zurück, um das große Gesamte nicht zu gefährden. Auch über Parteigrenzen und auch über (Bundes-)Ländergrenzen hinweg. Man wollte sich nichts vorwerfen lassen, man gab sich staatstragend. Und das war nicht das Schlechteste.

Längst freilich ist das anders. Ganz anders. Längst haben die Parteien Corona und die Pandemie zu ihrer Spielwiese gemacht. Schnell war es vorbei mit dem nationalen Schulterschluss, auf den man anfangs stolz war. Da begannen im Vorfeld der Wiener Wahlen die Grabenkämpfe zwischen dem türkisen Teil der Bundesregierung und dem roten Teil der Wiener Stadtregierung. Als dann ruchbar wurde, dass die Beliebtheitswerte des Gesundheitsministers jene des Bundeskanzlers erreichten, war es auch innerhalb der Koalition mit dem Schulterschluss vorbei. Der Gesundheitsminister wurde vom Kanzler immer öfter im Regen stehen gelassen und die türkisen Landeshauptleute arbeiteten sich immer unverhohlener am grünen Minister ab. Dass die Verordnungen aus seinem Ministerium kaum das Papier wert waren, auf dem sie geschrieben waren, machte die Sache nicht besser. Ein nur -wie sich im Nachhinein zeigt -vorläufiger Gipfel war schließlich erreicht, als an der südösterreichischen Grenze Touristen 15 Stunden im Stau steckten, weil sie Zettel ausfüllen mussten, um nach Österreich einreisen zu dürfen. Endgültig pfeif drauf wurde die Stimmung dann freilich, als man mit einem, wie sich schnell zeigte, völlig untauglichen Ampelsystem die seit Ende Juli steigenden Zahlen unter Kontrolle bringen wollte.

Dort stehen wir jetzt und wissen nicht, was noch alles kommen wird. Das Vertrauen jedenfalls geht bei vielen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gegen null, die Verwirrung ist groß und immer geringer ist die Bereitschaft, den Maßnahmen der offiziellen Stellen und den Ratschlägen der Experten zu folgen. Die Geschlossenheit ist zerbröselt. Nicht nur in der Politik, auch in der Ärzteschaft, unter den Wissenschaftlern und erst recht unter den Leuten.

Das alles meint man jetzt wohl mit der verlorenen Zeit, die man hätte anders nutzen müssen und können. Nun aber ist es nichts mehr mit der Vorreiterrolle Österreichs, auf die man damals noch so stolz war. Keine Bewunderung mehr, wie wir das damals geschafft haben, sondern nur mehr Verwunderung, wie wir unseren Vorsprung im Kampf gegen das Virus wieder verspielt haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. September 2020

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