Donnerstag, 15. Oktober 2020

Allerorten schweigt die Basis

Dieser Tage feiert man sich nach der Wienwahl in allen Parteien - bis auf einer - als Sieger. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Österreichs Parteien seit geraumer Zeit Ruhe herrscht. Allerorten schweigen die Funktionäre und die Basis. Als Parteimitglieder, selbst als Verantwortungsträger scheinen sie vor allem zu dulden. Zu schlucken vielleicht auch und sich zu wundern, sich vor allem aber still und stromlinienförmig im Sinn der jeweiligen Parteiline zu verhalten. Da ist kaum wo ein Aufmucken, da ist kaum etwas überliefert von großen Diskussionen und auch nichts von Flügelkämpfen.


Dabei müsste sich eigentlich bei den Türkisen und den Grünen die Basis und die Funktionäre wegen des zuweilen sehr chaotischen Corona-Managements längst zu Wort melden. Bei den Grünen war nach der Unruhe wegen Moria bald wieder Ruhe. Bei der SPÖ produziert die Parteichefin jeden Tag Diskussionsbedarf. Und den Freiheitlichen steht man trotz des Wien-Desasters am vergangenen Wochenende hinter Hofer und Kickl, wohl um Ruhe zu haben. Da ist noch gar nicht die Rede von den großen Themen wie den Problemen in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt oder im Tourismus. Oder vom aus den Fugen geratenden Budget oder von Dauerthemen wie Pensionssicherung und all den Fragen, die sich im Sozial-und Gesundheitsbereich auftun. Und schon gar nicht von internationalen Fragen wie der Flüchtlingskrise vor den Toren Europas.

In der ÖVP ist man dem Bundeskanzler und Parteiobmann hörig und schweigsam ergeben. In der SPÖ hängt man seit dem Kern-Abgang immer noch in den Seilen. Die Grünen halten ihre Streitlust auch in den Grätzln und Gemeinden im Zaum, um die Regierungsarbeit nicht zu gefährden. Die Blauen halten still, um irgendwie doch mit dem Leben davonzukommen. Nur bei den Neos ist nichts zu beobachten, aber die haben ja auch kaum Mitglieder als eine organisierte Basis, die mitreden und aufmucken könnte.

Es ist nichts zu spüren im Land. Nichts von breiten Diskussionen. Nichts von Forderungen. Nichts davon, dass in den Parteien Junge irgendwo nachdrängen und Fragen stellen oder dass sich Unzufriedenheit und die Sorgen um die Zukunft in irgendeiner Form manifestieren außer in einem Achselzucken. Schon gar nicht gibt es so etwas wie eine Proteststimmung oder gar eine Wendestimmung. Es scheint, als hätten in allen Parteien alle ihre Verantwortung an ihre Spitzenpolitiker abgetreten und ihr politisches Engagement an den Nagel gehängt.

Corona mag eine Erklärung dafür sein, sie greift aber wohl zu kurz. Es hat wohl auch damit zu tun, dass sich auch die anderen Parteien die Kommunikationspolitik der Kurz'schen Volkspartei zum Vorbild genommen haben. Zugunsten eines geschlossenen Bildes scheinen sich nicht nur in der Volkspartei Funktionäre und Mitglieder der Führung unterzuordnen und ihre Beschlüsse und Werbestrategien brav bis ins hinterste Tal zu tragen -ohne lange zu fragen oder gar zu hinterfragen. Das machen auch die Funktionäre und Mitglieder der SPÖ kaum mehr anders, weil es ihnen als probatestes Mittel erscheint, Ruhe in die Partei zu bringen. Und sogar bei den Grünen zeigen sich solche Tendenzen, denkt man nur daran, wie rasch es wieder um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria still wurde.

Alles scheint allerorten nur mehr auf eine "Message" und deren "Control" ausgerichtet zu sein. "Nur kane Welln" sagt man dazu in Wien. "Welln" würden nur stören.

Kurzfristig mag das ja durchaus sinnvoll sein. Aber langfristig kann das wohl nicht die politische Arbeit, zumal jene an der Basis der Parteien, ersetzen. Denn die Gesellschaft braucht Diskussionen. Nicht nur über den Lieblingsfußballclub oder die aktuelle Mode und das beste Essen, sondern auch über die gesellschaftlichen und politischen Anforderungen. Die Parteien waren in Österreich immer wichtige Orte und Katalysatoren dafür.

Nun aber muss man sich genau darum Sorgen machen, weil unübersehbar ist, wie sie von wenigen Politikern an der Spitze ohne Widerrede auch bei uns instrumentalisiert werden können, um vorgefertigte politische Anschauungen und Einschätzungen durchzusetzen. Und das gilt längst nicht mehr nur für die Kurz-ÖVP, die anfangs dafür von allen Seiten heftig kritisiert wurde, als sie mit einem völlig neuen Führungs- und Kommunikationsmodell die ÖVP übernahm. Es gilt längst auch für andere Parteien.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Oktober 2020

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