Donnerstag, 8. Oktober 2020

Wahlen im "Wasserkopf der Nation"

Wien wählt und der Rest Österreichs muss zuschauen. Nolens volens. Wenn der Bürgermeister den Müllmann macht, wenn sich ein Schriftsteller mit dem Finanzminister balgt, wenn sich ein politischer Bankrotteur ins Rampenlicht zurückdrängt. Wenn man mit Taxi-und Gastronomiegutscheinen um sich wirft, Ganzjahres-Gratistickets für die Öffis verspricht und den Grippeimpfstoff gratis verteilt, während man sich im Rest des Landes auf Wartelisten gedulden muss.


Wienwahlen auf allen Kanälen und im ganzen Land. Und kein Entkommen. Weil Wien ist Wien. Und Wien nimmt sich nun einmal gerne wichtig. Jedenfalls dann, wenn's ins Konzept passt. Wenn's nicht hineinpasst, dann macht man sich gerne kleiner. Beim Umgang mit dem Corona-Virus etwa, den man trotz eines sehr selbstbewussten Gesundheitsstadtrates nicht recht im Griff hat. Da ist dann Wien nicht so groß und bedeutend. Sonst aber schon.

Als bekennende Provinzler gibt man gerne zu, dass einen das in diesem Land schon in wahlfernen Zeiten sehr beliebte und in Wahlzeiten wie diesen in Hochkonjunktur stehende Wien-Bashing vor diesem Hintergrund durchaus amüsieren kann. Zuweilen bettelt man ja in Wien nachgerade darum. Und es werden ja oft schier alle Vorurteile bestätigt, die man zwischen Neusiedler See und Bodensee so hegt. Dass die Wiener eingebildet sind und hochnäsig sowieso und dass sie, wie das "profil" formulierte, "gfeanzt" und "neunmalklug" sind.

Zur Bundeshauptstadt und ihren Bewohnern haben die meisten Österreicherinnen und Österreicher ein meist sehr spezielles Verhältnis. Und das ist nicht immer von Freundlichkeit getragen. Die Wiener können unter zahllosen Umfragen wählen, für wie unbeliebt sie gehalten werden. Unique Research etwa ermittelte für "profil", dass 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher Wien für den "Wasserkopf der Nation" halten. Bei "market" ist eine Umfrage zu finden, die den Wienern Unfreundlichkeit bescheinigt. SORA ermittelte, dass nur 21 Prozent in Wien "an Menschen und Mentalität" Gefallen finden und nur 34 Prozent der Nichtwiener glauben, die Wiener seien beliebt.

Die Wienerinnen und Wiener wissen darum. SORA ermittelte, dass sich die Hälfte der Wienerinnen und Wiener selbst nicht für beliebt hält. In einer Radiodiskussion wurden die Gründe dafür dieser Tage so formuliert: "Wir Wiener sind überdurchschnittlich gebildet -das kommt nie gut, wir Wiener haben einen überdurchschnittlich hohen Migrationshintergrund, wir Wiener sind überdurchschnittlich oft arbeitslos und wir Wiener bekommen überdurchschnittlich viel aus dem Finanzausgleich."

Jetzt ist es aber genug. Auch wenn der güldene Glanz des Wiener Herzens außerhalb nicht so geschätzt wird, wie man in Wien das möchte, gibt es wohl ebenso viele Umfragen, die Wien und die Wienerinnen und Wiener im besten Licht erscheinen lassen. Vom kulturellen Angebot, über das weltstädtische Flair, die wunderbaren Straßen und Gassen, die historischen Bauten, das Verkehrssystem und das Shoppingangebot bis hin zu den Heurigen und zum Schweizerhaus und seinen Stelzen.

Wien ist auch, auch das sei gesagt in diesen Vorwahlzeiten, eine wie man neudeutsch selbst in besseren Kreisen heutzutage sagt, geile Stadt. Spannend, toll, überbordend zuweilen, voller Leben. Ein faszinierender Kosmos, ein kosmopolitischer Leuchtturm in einem Österreich, das sich oft nur mehr mit sich selbst beschäftigt, das sich, wie spitze Kritiker nicht ganz zu Unrecht meinen, in den vergangenen Jahren die Lederhosen anzogen hat.

Österreich braucht Wien. Aber, das sollten die Wienerinnen und Wiener nicht vergessen, Wien braucht auch Österreich. Und darum ist es durchaus angebracht, die Landtagswahlen am kommenden Sonntag mit Interesse zu verfolgen. Denn wenn es um Wien geht, geht es auch um vieles in Österreich. Auch wenn der Ausgang klar zu sein scheint und Bürgermeister Michael Ludwig wohl einen unangefochtenen Sieg feiern wird.

Am spannendsten ist wohl, wie weit es dem türkisen Finanzminister Gernot Blümel gelingen wird, die bei den letzten Wahlen unter die Räder gekommen -damals noch schwarze -Volkspartei wieder ins politische Spiel der Bundeshauptstadt zurückzubringen. Die Aussichten stehen dem Vernehmen nach nicht schlecht. Jedenfalls deutlich besser als die von HC Strache zu einem politischen Comeback zu kommen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Oktober 2020

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