Samstag, 10. Oktober 2020

Die Bauern fahren nicht die reiche Ernte ein


Weil in Krisenzeiten Regionalität gefragt ist, gelten die Bauern als Krisengewinner. In Wahrheit profitieren sie am wenigsten von dem Trend.


Hans Gmeiner

Linz. „Ich schaue auf regionale Qualität“, heißt es in der neuesten Werbekampagne der AMA. In Wien tourten kürzlich die Jungbauern mit einem Foodtruck durch die Stadt. Und in den Bundesländern machten Bauernfunktionäre und Bauern in Einkaufszentren Werbung für ihre Produkte. Mit großem Eifer und viel Aufwand versucht die Landwirtschaft den Rückenwind zu nutzen, den die Coronakrise bäuerlichen Produkten aus Österreich bescherte. Regionalität ist in aller Munde und bietet tatsächlich große Chancen. Bloß die Bauern profitieren am wenigsten davon. Sie sorgen mit ihrem Engagement für schöne Zuwächse in vielen wirtschaftlichen Sektoren und tragen dort auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei, für sie selbst aber fällt im Vergleich dazu nur wenig ab. Das ergibt die Analyse einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Demnach bringt eine nur einprozentige Erhöhung der Nachfrage nach inländischen Agrarrohstoffen und Lebensmitteln für die gesamte österreichische Volkswirtschaft eine zusätzliche Wertschöpfung von 141 Millionen Euro, mit der rund 3100 Arbeitsplätze verbunden sind, wenn zum selben Prozentsatz dadurch Importe ersetzt werden. Auf die Bauern entfallen davon allerdings nur rund 20 Millionen Euro, rund ein Siebtel des Zugewinns, den der verstärkte Kauf heimischer Agrarprodukte und Lebensmittel bringt. Berücksichtigt man die Abschreibungen, sind es gar nur zehn Millionen Euro. Den weitaus größten Teil des Kuchens, nämlich die restlichen sechs Siebtel, teilen sich die Lebensmittelverarbeiter, die Metzger und Fleischverarbeiter, die Molkereien und die heimische Lebensmittelwirtschaft sowie auch der Lebensmittelhandel.

Für die Bauern bleiben hingegen nur die sprichwörtlichen Brösel. Geht man davon aus, dass ein Haushalt monatlich rund 350 Euro für Lebensmittel ausgibt, sind ein Prozent nicht mehr als 3,50 Euro. Wird dieser zusätzliche Umsatz auf die tatsächliche Wertschöpfung heruntergerechnet, bleiben beim Bauern gerade einmal ein paar Cent hängen, bestätigt Studienautor Franz Sinabell vom Wifo.

Nicht einmal bei den bäuerlichen Direktvermarktern ist eindeutig, dass sie wirklich zu den großen Nutznießern des Regionalitätstrends bei Lebensmitteln zählen. „Die tun sich vielleicht am leichtesten, den Trend zu nutzen, haben aber oft sehr hohe Kosten“, sagt Sinabell. „Aber auch der Handel profitiert stark von ihnen, wenn er die Produkte von regionalen Kleinerzeugern in Regionalregalen verkauft.“

Was für die zusätzliche Wertschöpfung gilt, gilt auch für die 3100 Arbeitsplätze, die laut Wifo in Verbindung mit mehr Österreich-Bewusstsein beim Lebensmitteleinkauf stehen. „Diese Arbeitsplätze sind vor allem dort, wo die zusätzliche Wertschöpfung ist, in der Lebensmittelverarbeitung, im Handel, sogar in der Immobilienwirtschaft“, sagt Sinabell. Bei Bauern hingegen gehe es nicht um zusätzliche Jobs, „sondern um Jobs, die nicht verloren gehen“.

Sinabells Fazit muss für die Landwirtschaft, die so große Erwartungen in die Regionalität setzt, ernüchternd klingen. „Wenn wir die Nachfrage nach heimischen Gütern ausweiten, können wir den Strukturwandel nicht aufhalten, sondern allenfalls bremsen“, sagt der Ökonom. „In der Landwirtschaft kann man nicht viel gewinnen, man kann im Wesentlichen nur die Reduktion der Zahl der Arbeitskräfte verlangsamen.“ Nachsatz: „Wenn das ein Gewinn ist, dann gewinnt die Landwirtschaft.“

„Eigentlich sollte sich die Wirtschaftskammer über den Trend zur Regionalität bei Lebensmitteln mehr freuen als die Landwirtschaftskammer“, sagt Sinabell. Letztere will sich die Stimmung dennoch nicht vermiesen lassen. „Das Ergebnis beweist eindeutig, dass gelebte Regionalität nicht nur positive Auswirkungen für die vor- und nachgelagerte Wirtschaft hat, sondern auch der Landwirtschaft das Rückgrat stärkt“, sagt Josef Moosbrugger, der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Er verliert aber dabei nicht aus den Augen, dass es auch darum gehen muss, die Position der Bauern in der Wertschöpfungskette zu stärken. „In Österreich müssen wir einen Teil der Wertschöpfung wieder zurück in bäuerliche Hände bringen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. Oktober 2020

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