Samstag, 17. Oktober 2020

Auch Puten brauchen Abstand

Ob bei der Putenmast oder im Schweinestall: Bei der Haltung von Tieren gelten in Österreich oft strengere Regeln – das freilich kostet. Die Kunden scheinen zunehmend bereit, das zu zahlen.

Hans Gmeiner
Regina Reitsamer 

Salzburg. Bis zu sechs Puten auf einem Quadratmeter, Schnabelkürzen, um Kannibalismus zu verhindern, Antibiotikaeinsatz und Züchtungen, bei denen Vögeln die Gelenke brechen, weil sie so viel Brustfleisch ansetzen. „Wer einen europäischen Puten-Großbetrieb besucht, dem vergeht die Lust auf Pute“, sagt Sarah Wiener, Fernsehköchin und österreichische Abgeordnete im EU-Parlament. Den Welternährungstag diesen Freitag nutzten Wiener und ihre Mitstreiter der Kochvereinigung Euro-Toques (Kochmütze) für einen Twitter-Aufruf: Nur aus guten Lebensmitteln könne man gute Gerichte zaubern. „Wir sind nicht mehr bereit, die Industriesuppe auszulöffeln.“ Extrembeispiel sei die Putenzucht.

Anders als bei Schwein, Huhn oder Kuh gibt es beim Truthahn europaweit keinerlei Regeln, was die Haltung betrifft. In Österreich ist das seit 2005 anders: 40 Kilogramm Lebendgewicht seien pro Quadratmeter Stall zulässig, erklärt Michael Wurzer, Geschäftsführer der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft ZAG. In Osteuropa seien es meist 70 Kilogramm, in Deutschland habe man sich freiwillig auf 58 Kilogramm geeinigt. Dazu hätten die meisten der 130 konventionellen und 35 biologischen Putenbauern in Österreich bei ihrem Stall überdachte Wintergärten für die Tiere und fütterten gentechnikfrei. Statt wie in Osteuropa Hunderttausende sind in Österreich im Schnitt 5800 Puten in einem Stall.

Mehr Platz, Licht und Luft heiße gesündere Tiere, betont Wurzer. Den Antibiotikaeinsatz habe man um 75 Prozent reduziert. Mit der Folge, dass österreichisches Putenfleisch 13 Euro koste, polnisches oft nur die Hälfte – und immer weniger heimisches Fleisch gekauft wurde. Der Selbstversorgungsgrad ist laut Statistik 2015 auf einen Tiefstwert unter 40 Prozent gefallen. Zuletzt freilich gebe es eine Trendwende.

Billa setzt seit dem Sommer ausschließlich auf heimische Pute. Die sei etwa um ein Viertel teurer als Putenfleisch aus Deutschland, der Absatz sei deswegen aber nicht zurückgegangen, betont Sprecher Paul Pöttschacher. Auch Spar arbeitet an einem eigenen Konzept.

Auch bei Schweinen wird inzwischen honoriert, dass die Tiere nicht aus Fabriken kommen, sondern zumeist auf familiengeführten Bauernhöfen großgezogen werden, die sich den Richtlinien des AMA-Gütesiegels und anderen Auflagen, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, verpflichtet haben. „Die jahrelange Arbeit der AMA, der Landwirtschaftskammern und der Erzeugerverbände zeigt nun Früchte“, sagt Hans Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse. „Derzeit ist dieses neue Österreich-Bewusstsein auf dem Markt rund 20 Prozent wert.“ So viel bekommen seit einigen Wochen in Österreich die Bauern mehr als ihre Kollegen in Bayern und im restlichen Deutschland. Dabei ist es hilfreich, dass der Lebensmittelhandel inzwischen nicht nur bei Frischfleisch auf österreichische Qualität setzt, sondern auch die Fleischverarbeiter dazu drängt, heimische Ware zu verarbeiten.

Dennoch ist der Schweinemarkt, den zuerst Corona und dann die Sperre Chinas für deutsches Schweinefleisch aus der Spur brachte, nichts für schwache Nerven. Obwohl Österreichs Schlachthöfe bisher ohne große Probleme durch die Coronakrise kamen und auch die Afrikanische Schweinepest das Land bisher verschonte, müssen Österreichs Schweinebauern seit Jahresbeginn Preisrückgänge von mehr als 25 Prozent hinnehmen. „Den Mästern bleibt seit Pfingsten nichts mehr“, sagt Schlederer, der dennoch damit rechnet, dass das Jahr insgesamt nicht zu den schlechten zählen wird.

Hoffnungen setzt die Branche darauf, dass Österreich bald die Lizenz für die Lieferung von Innereien und Schlachtnebenprodukten wie Ohren, Schwänzen und Ähnlichem nach China bekommt. „Da geht es um einen zusätzlichen Erlös von zehn bis 20 Euro pro Schwein“, sagt Schlederer. Derzeit ist Österreich mit einem jährlichen Exportvolumen von 12.500 Tonnen in China bereits der achtgrößte ausländische Lieferant von Schweinefleisch.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Oktober 2020

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